Wie die libysche Wüste und eine Party in Wien mein Leben veränderten …
… und das vieler anderer. In seiner spannenden Geschichte erzählt Armin Mösinger warum er seinen gut bezahlten Job als junger Ingenieur an den Nagel hängte und wie er 2010 zur SONNE kam.
Ein großes und wertvolles Kapitel meines Lebens
Ein leeres Blatt Papier und bald die letzte Chance meinen Beitrag für unser SONNE-Jubiläumsbuch abzugeben … Untypisch für mich, aber ich muss zugeben, dass ich diese Aufgabe ein wenig vor mir hergeschoben habe, denn ich stellte mir immer die Frage, wie ich es anstellen soll, ein so großes und wertvolles Kapitel meines Lebens in einem,kurzweiligen“ Beitrag zusammenzufassen? So viel möchte ich den LeserInnen von diesen aufregenden zehn Jahren erzählen, aber ich denke, ich möchte sogar mit der Zeit beginnen, bevor ich Erfried Malle und das SONNE-Team kennengelernt habe.
Aus der Obersteiermark nach Afrika
Aufgewachsen bin ich in der Obersteiermark und meine Eltern haben mir eine wirklich schöne Kindheit ermöglicht. Nach der Grundschule entschied ich mich dazu, in Kapfenberg in die HTL für Elektrotechnik zu gehen. Der Grund war nicht, dass ich mich sonderlich für Technik interessierte, sondern einer meiner Nachbarn ging eben auch dort zur Schule. Sich in diesem Alter für einen Beruf zu entscheiden ist gar nicht so einfach, doch die zahlreichen Berufsorientierungstests in der Schule attestierten mir, dass ich einmal ein guter Techniker werden würde. Na ja, die Aufnahmeprüfung in die HTL habe ich geschafft und so quälte ich mich irgendwie die fünf Jahre bis zur Matura durch, obwohl ich schon früh bemerkte, dass der Strom nicht wirklich meine Aufmerksamkeit wachrütteln konnte und das Ohmsche Gesetz mich im Leben nicht weiterleiten würde. In diesem Alter machte ich mir ehrlich gesagt sowieso keine Gedanken darüber, was ich einmal beruflich werden wollte, da es mir als Jugendlicher eigentlich nur um meine Freunde und mein Skateboard ging.
Die meisten meiner Freunde gingen nach der Matura nach Graz und begannen ein Studium. Da ich komischerweise vom Skateboarden und der Freiheit nicht leben konnte und auch keine Idee hatte, was ich studieren könnte, musste ich mir eben einen Job suchen. Durch eine Zeitungsanzeige wurde ich auf eine Stellenausschreibung aufmerksam, in der ein HTL-Absolvent für eine Partnerfirma von Siemens gesucht wurde. Vor allem die darin erwähnten Auslandseinsätze in Afrika weckten mein Interesse, obwohl es mich bis dahin noch nicht so wirklich ins Ausland gezogen hatte. War ja schön zu Hause!
Das erste Jahr in meinem ersten richtigen Beruf verbrachte ich hauptsächlich im Büro und zeichnete Konstruktionspläne. War eigentlich ganz okay, da ich nach der Arbeit immer meinen Leidenschaften nachging und meine ArbeitskollegInnen auch ziemlich lässig waren.
Eine Reise die mein Leben veränderte
Nach einem Jahr fand ich mich in einem Flugzeug Richtung Libyen wieder. Ein Auslandseinsatz stand an. Ich war ziemlich aufgeregt, mit 22 Jahren das erste Mal alleine Europa zu verlassen. Was wird mich erwarten, werde ich mich zurechtfinden, was werde ich dort essen und und und. Viele Fragen gingen mir auf der Hinreise durch den Kopf. Dass diese Reise mein Leben so nachhaltig beeinflussen würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
In den darauffolgenden drei Jahren verbrachte ich insgesamt ein halbes Jahr beruflich in Libyen und die Erlebnisse dort und auch die Zeit mit mir selbst haben meine Einstellung zu so vielen Dingen gravierend verändert. Als Skater war ich immer in eine große Gruppe eingebunden und wir unternahmen auch in der Freizeit fast alles gemeinsam. In Libyen war ich jedoch sehr oft auf mich allein gestellt und die Berührungspunkte mit der dortigen Armut haben mich sozusagen wachgerüttelt.
Bis zur Eröffnung seiner ersten SONNE-Schule war es für Armin noch ein weiter und verschlungener Weg.
Schon früh stand mein Entschluss fest
Man kennt ja arme Menschen meist nur aus dem Fernsehen. Das erste Mal die Verzweiflung und Perspektivlosigkeit von Flüchtlingen mit eigenen Augen zu sehen hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich in meiner Containerunterkunft mitten in der Wüste (dort hatten wir auf den Ölfeldern unsere Projekte) den Entschluss fasste, mit meinem Leben etwas gegen diese Ungerechtigkeit zu unternehmen.
Mir sind dort meine Privilegien, die ich als Österreicher habe, zum ersten Mal so richtig bewusst geworden und auch, dass es eigentlich dem Zufall zu verdanken ist, dass nicht ich dort auf der Straße sitze und von einer Ausbildung und einem normalen Leben träume.
Mit einem Vorsatz im Gepäck zurück nach Österreich
Mir wurde klar, dass ich als Ingenieur zwar schönes Geld verdiente, es mich aber langfristig nicht glücklich machen würde. Plötzlich erwachte der Wunsch in mir, anderen zu helfen, auch ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Mit diesem Vorsatz im Gepäck ging ich nach Österreich zurück und zog nach Wien. Dort begann ich mit dem Studium der Internationalen Entwicklung, um meinen Vorsatz auch mit dem nötigen Wissen auszustatten. Auf einmal war ich gut beim Lernen, weil mich das Thema interessierte und mir bewusst geworden war, dass Bildung kein Muss ist, sondern ein Privileg. Was mir allerdings bei meinem Studium fehlte, war der Bezug zur Praxis.
Es ist schön, immer mehr Zusammenhänge der Globalisierung verstehen zu können, aber gibt es mir auch das Werkzeug, um einen positiven Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten? So fing ich neben dem Studium und meinem Nebenjob als Museumswärter an, mich über ehrenamtliche Stellen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit zu informieren. Nun ja, man sammelt unzählige Broschüren und so wächst ein Haufen von Möglichkeiten heran, der auf eine Entscheidung wartet. Eine Party bei Freunden hat mir schließlich diese Entscheidung erleichtert.
Zurück in Österreich ganz ohna Ahnung was die Zukunft bringen könnte stürzte sich Armin in sein Studium.
„Wir suchen ehrenamtliche MitarbeiterInnen“
Als ich am Tag nach der Sause munter wurde, lag ein kleiner Kalender von SONNE-International auf meinem Schreibtisch. Vage konnte ich mich daran erinnern, dass ihn mir Florian Wirt gegeben hatte, der damals ehrenamtlich die Website für SONNE machte. Gemütlich blätterte ich bei einem Kaffee den Kalender durch, als mir ein Aufruf ins Auge stach: „Wir suchen für unterschiedliche Bereiche ehrenamtliche MitarbeiterInnen.“ Diesem Zufall bin ich gefolgt und einige Wochen später durfte ich Erfried persönlich kennenlernen. Er war mir sofort sympathisch und die Hilfsprojekte entsprachen genau meiner Vorstellung von Hilfe zur Selbsthilfe. So war auch mir geholfen und ich begann mich als ehrenamtlicher Mitarbeiter zu engagieren und wertvolle Praxiserfahrung zu sammeln.
Der Wendepunkt in meinem Leben
Rückblickend war also der Sommer 2011 der Wendepunkt in meinem Leben, an dem meine Reise mit der SONNE begann. In den ersten drei Jahren als ehrenamtlicher Mitarbeiter versuchte ich zu helfen, wo es halt ging. Vom Vertrieb unseres Wandkalenders bis hin zur Organisation von Podiumsdiskussionen war mein Aufgabengebiet breit gestreut. Nach drei Jahren bekam ich das Angebot für eine geringfügige Stelle und ab da begann auch die Arbeit inhaltlich so richtig spannend zu werden. Mit Erfried konnte ich immer enger zusammenarbeiten und von seiner langjährigen Erfahrung in der Praxis lernen. Ich koordinierte u. a. unser Schulprojekt in Indien und durfte dann auch Projektluft vor Ort schnuppern. Endlich konnte ich die erlernte Theorie mit den lokalen Partnern in der Praxis anwenden. Das war genau meins! Nach fünf Jahren HTL, acht Monaten beim Bundesheer, vier Jahren als Ingenieur, zahlreichen Nebenjobs, einem Bachelor der Internationalen Entwicklung und einem Magister in Sozialökologie war mir endlich vollkommen klar:
Ich werde mein restliches Leben dafür nutzen, um gemeinsam mit dem engagierten SONNE-Team zu einer gerechteren Welt beizutragen.
Am liebsten vor Ort und „Hands On“.
Überzeugung und Leidenschaft
Sich an der Seite von Erfried zu engagieren, der sein Herz aber so was von an der richtigen Stelle hat (hier könnte ich ein eigenes Buch schreiben!), fühlte sich einfach richtig an. Aus meiner Überzeugung und Leidenschaft einen Vollzeitberuf zu machen, war mein Traum! Nebenbei reicht einfach nicht, denn ein Tag hat nur 24 Stunden und wir hatten so viel vor und ich wollte meine ganze Energie nun dieser Aufgabe widmen.
Im Juli 2014 habe ich mein Masterstudium mit Auszeichnung abgeschlossen. Halt kurz mal! Ich mit Auszeichnung abgeschlossen, der Hauptschüler, der die HTL grad mal mit Ach und Krach geschafft hatte. Hätte nicht mit diesem Erfolg gerechnet, aber Interesse und Leidenschaft scheinen ein guter Wegbegleiter zu sein. Eine Woche nach meiner Abschlussprüfung stellte mir Erfried die wohl wichtigste Frage meines Lebens: „Möchtest du Vollzeit bei SONNE arbeiten? Wir haben ein großes Projekt bekommen, bei dem ich deine Unterstützung gebrauchen könnte.“ Da ich nun seit über zehn Jahren bei SONNE bin, kennt ihr meine Antwort auf seine Frage.
Von Anfang an, bis heute, immer mit vollem Einsatz bei der Sache.
Alle Räume und Klassenzimmer mit Kindern füllen
Seit damals kann ich mich voll und ganz unserer kleinen SONNE widmen und bis heute konnten wir so viele wertvolle Projekte umsetzen, um hunderten Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Vor Ort durfte ich zahlreiche sehr bewegende Momente erleben, die mich immer wieder zum Weitermachen ermutigten und mir neue Energie gaben. Besondere Ereignisse sind immer Eröffnungen von SONNE-Schulen und Fördereinrichtungen.
Gerne erinnere ich mich daran zurück, als ich 2015 unsere Schule im indischen Ort Basadhi feierlich eröffnen durfte. Es war und ist die einzige Schule in diesem Dorf und bietet nun rund 150 Kindern einen regulären Zugang zu Bildung. Stolz bin ich auch, dass wir es mithilfe unserer tollen Community geschafft haben, diese Schule durch Patenschaften auf ein stabiles Fundament zu stellen, denn es ist eine Sache, eine Schule zu errichten und eine andere, sie auch langfristig zu betreiben.
Bei der Eröffnung des SONNE-Förderzentrums in Myanmar im Jahr 2019 war ich ebenfalls maßgeblich beteiligt. Ein noch schönerer Moment als die Eröffnung war es, als ich ein halbes Jahr danach wieder nach Myanmar kam und alle Räume waren gefüllt mit Kindern, die nun von unserem vielfältigen Förderprogramm profitierten.
Bei der Eröffnung des Straßenkinder-Förderzentrums in Yangon / Myanmar.
Immer wieder stelle ich fest, dass in unseren Schulen und Fördereinrichtungen eine ganz besondere Wärme und Geborgenheit herrschen. Das haben wir unseren tollen lokalen MitarbeiterInnen zu verdanken, die sich mit Herzblut für die Kinder einsetzen.
Mit Herzblut und Gänsehaut
Apropos Herzblut: Die Herzlichkeit der DorfbewohnerInnen in den entlegenen Dörfern in Bangladesch, wo wir unsere Schulen betreiben, ist ebenfalls einzigartig. Als ich das erste Mal eine dieser Schule besuchte, bekam ich eine Gänsehaut, als unser Team von traditionellen Musikern in Empfang genommen wurde. Nicht, dass ich einen großen Empfang brauche bzw. mir erwarte, aber es war ihre Art, ihre Dankbarkeit dafür auszudrücken, dass SONNE ihren Kindern eine bessere Zukunft ermöglicht.
Hunderte von SONNE-SchülerInnen auf einmal zu sehen machte mich glücklich und bewegte mich sehr. Man kann Berichte lesen und Broschüren drucken, aber vor Ort die Zuversicht unserer Schützlinge zu sehen und den Stolz ihrer Eltern zu spüren ist der Beweis für mich, dass wir mit unseren Bildungs- und Gesundheitsprojekten wirklich nachhaltig Gutes tun.
Die von Armin ins Leben gerufenen Karatekurse für indische Mädchen haben sich zu eine Vorzeigeprojekt für die gesamte Region entwickelt.
Soziales Engagement verbindet
Privilegien weitergeben ist einfach eine schöne Sache – und glaubt mir eines: Soziales Engagement verbindet, egal, welche kulturelle Herkunft man hat! Dass wir bei unseren Projekten den richtigen Ansatz verfolgen, hat mir mein Bauchgefühl auch bei unserem Karate-Projekt in Indien gezeigt. Richtig gelesen, wir haben ein Karate-Projekt! Seit 2014 bieten wir kontinuierlich Selbstverteidigungskurse für Mädchen in Indien an, damit wir sie in ihrer Entwicklung mental und körperlich stärken und schützen.
Ich kenne viele unserer indischen Schülerinnen persönlich und durfte mit eigenen Augen sehen, wie sehr sich das Selbstbewusstsein dieser Mädchen durch die Karatekurse verbessert. Sie werden die Mütter von morgen sein und ihre Töchter bestimmt zu emanzipierten jungen Frauen erziehen. Ich kann Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, nur ans Herz legen, sich selbst vor Ort von unseren SONNE-Projekten zu überzeugen, denn es ist absolut nicht vergleichbar, ob man nur darüber liest oder sie selbst vor Ort erlebt. You are most welcome!
Ich bin sehr dankbar für das Gefühl, in meinem Leben etwas Wertvolles machen zu dürfen. Abschließen möchte ich mit folgendem afrikanischen Sprichwort: If you want to go fast, go alone. If you want to go far, go together.
Die von Armin ins Leben gerufenen Karatekurse für indische Mädchen haben sich zu eine Vorzeigeprojekt für die gesamte Region entwickelt.
Vielen Dank für eure Unterstützung
Danke allen UnterstützerInnen, die unser Engagement erst ermöglichen und es wagen, mit uns gemeinsam positiv in die Zukunft zu blicken! Euer Armin