Äthiopien – die andere Seite der Welt

In den letzten 20 Jahren war SONNE-Obmann Erfried Malle sehr oft in unserem Projektgebiet, der Afar-Region in Äthiopien, unterwegs. Wenn ihn Corona-Krise oder Bürgerkrieg nicht daran hindern, ist er jedes Jahr zwei Mal mehrere Tage vor Ort, um sich dem Fortgang unserer Projekte zu widmen, die Finanzen unter die Lupe zu nehmen und um mit unserer Projektpartnerin neue Visionen zu entwickeln.

Bei seiner letzten Reise im November 2023, kurz vor Weihnachten, wurde Erfried wieder einmal so richtig bewusst, wie tragisch und aussichtslos die Lebenssituation der ansässigen Bevölkerung vor Ort ist.

  • Erfried Malle und Stippe Bartusch in Äthiopien

Unsere Äthiopienexperten Erfried Malle und Stefan „Stippe“ Bartusch sind wieder unterwegs, um die SONNE-Projekte vor Ort zu besuchen.

Eine der unwirtlichsten Regionen der Welt

Die Afar-Region ist der nordöstlichste Bundesstaat Äthiopiens. Sie grenzt im Norden direkt an Eritrea und im Osten an Dschibuti. Das Grenzgebiet ist wohl das unwirtlichste Stückchen Land auf Erden, auf dem es eine flächendeckende, wenn auch sehr dünne Besiedlung gibt. Im Sommer klettern die Temperaturen auf über 55 Grad Celsius und das macht das Überleben für die Menschen so schwierig und für mich zu einem echten Mysterium. Obwohl ich schon so oft vor Ort war, kann ich mir beim besten Willen noch immer nicht vorstellen, wie ich in dieser Region auch nur einen einzigen Monat lang überleben könnte.

Bilder aus der Steinwüste der Afar-Region

Die Analphabetenrate ist die höchste Afrikas, ebenso die Kinder- und Müttersterblichkeit

Die ansässige Bevölkerung, das semi-nomadisch lebende Hirtenvolk der Afar, zählt in Äthiopien ca. 1,5 Mio. Menschen und lebt am Horn von Afrika in völliger Abgeschiedenheit. Aufgrund der fehlenden bzw. nur sehr rudimentär vorhandenen Infrastruktur (Straßen, Krankenhäuser, Schulen, Märkte fehlen komplett…) pflegt die ansässige Bevölkerung noch immer einen zum Teil mittelalterlichen nomadischen Lebensstil. Die Landwirtschaft hat sich noch nicht durchgesetzt, sodass das Überleben letztendlich von der Größe und der Gesundheit der Ziegen- oder Schafherden abhängig ist.

Jedes Mal ist es für mich eine Reise, die mich ganz besonders stark berührt, denn die Umgebung, die Menschen und die Natur sind einzigartig. Die Gesteinswüste erinnert mich an die Oberfläche des Mondes, die starken Windhosen blasen mir den trockenen Staub ins Gesicht und den Menschen ist der harte Überlebenskampf mit tiefen Furchen ins Gesicht geschrieben.

Die täglichen Herausforderungen, mit denen Menschen und Tiere in der Afar-Region konfrontiert sind, sind für uns einfach unvorstellbar.

Ein Aufruf zur Veränderung – gegen Unterernährung in der Afar-Region

Das Bild, das sich mir hier in den letzten Jahren zeigt, hat sich sukzessive verschlechtert. Bei meiner letzten Reise im November 2023, kurz vor Weihnachten, wurde mir wieder einmal so richtig bewusst, wie tragisch und aussichtslos die Lebenssituation der ansässigen Bevölkerung vor Ort ist.

Mit unseren lokalen medizinischen Mitarbeiterinnen war ich in den abgelegenen Siedlungen unterwegs. Bei vielen der Kinder und Jungmütter wendeten wir das Unterernährungsband der WHO an, um den Schweregrad der Unterernährung festzustellen. Das Ergebnis dieser Untersuchung war schrecklich! Derzeit sind 75% aller Kinder vor Ort unterernährt und weisen deutliche Entwicklungsverzögerungen auf körperlicher und geistiger Ebene auf. Durch das Gespräch mit unserer lokalen Projektpartnerin Valerie Browning, mit der wir schon seit 2005 gemeinsam Hilfsprojekte umsetzen, ist mir die Dramatik dieser Situation voll bewusst geworden.

Man muss sich das einmal vorstellen: 75% aller Kinder werden sich nicht altersgemäß entwickeln, so hinkt z.B. auch die Entwicklung des Gehirns stark hinterher. 75 % der Kinder werden also über kein ausreichendes Gehirnpotential verfügen, um sich in einer so schwierigen Umwelt wie der Afar-Region gegen die täglichen Herausforderungen behaupten zu können!

Ohne die mobilen Gesundheitsteams von APDA und SONNE-International hätten die Menschen hier keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.

„Für umso wichtiger erachte ich es nun, nach dieser Reise unseren Einsatz vor Ort und unser fortwährendes Engagement in Österreich fortzusetzen und Spendengelder für unsere Projekte zu lukrieren, damit wir diesen bitterarmen Menschen beistehen können.“

Erfried Malle – SONNE-Obmann

Kriege, Heuschreckenplage, Epidemien und Klimawandel

Die Ursachen für diesen schrecklichen Zustand sind vielschichtig. Das Kriegsgeschehen, die Heuschreckenplage, die auch die letzten Weidegründe vernichtet hat, die endemische Cholera und sowie Masern-Epidemien, die tausenden Menschen das Leben gekostet haben, die weltweite Inflation, die für Familien einen Lebensmittelankauf unmöglich macht, aber auch der Klimawandel, der zu immer mehr Dürreperioden führt, haben in der ärmsten Region Afrikas ihre Spuren hinterlassen.

Besonders traurig machte mich die Tatsache, dass die Bürgerkriegsparteien das Konzept der Zerstörung der Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung äußerst systematisch betrieben haben, um die Afar-Region neu besiedeln und ausbeuten zu können. Unzählige Brunnen wurden zerstört, Dörfer niedergebrannt, Ambulanzwägen und Gesundheitsstationen sowie medizinisches Gerät in die Luft gesprengt, Viehherden wurden von Kriegshunden zu Tode gebissen. Aufgrund der zeitgleichen Kriegsgeschehnisse in der Ukraine erfuhr die Weltöffentlichkeit allerdings kaum etwas darüber.

  • Valerie Browning im Einsatz

Trotz aller Bemühungen von Maalika, der Königin des Afar-Volkes (so wird die australische Krankenschwester Valerie Browning genannt), die mit ihrem Afar-Ehemann vor mehr als 40 Jahren die lokale Partnerorganisation APDA (Afar Pastoralist Development Association) gegründet hat, hat sich die Lebenssituation der Afar-Bevölkerung in den letzten Jahren stark verschlechtert. Im Zuge dieser Reise besuchte auch die nach Addis Abeba entsandte Österreichische Botschafterin Dr. Simone Knapp das Projektgebiet von SONNE-International (hier rechts im Bild) und konnte sich so selbst ein Bild vom großen Nutzen des neuen landwirtschaftlichen Trainingszentrums machen, das übrigens von der Austrian Development Agency (ADA) gefördert wird.

Doch wir werden diese Menschen nicht alleine lassen

Trotz aller Rückschläge sind wir glücklich darüber, dass wir den Afar-Menschen schon seit nahezu 20 Jahren immer wieder Hoffnung geben konnten. Wir haben in vielen Gebieten der Region die brutale Genitalverstümmelung FGM erfolgreich bekämpft, tausenden Kindern und Jugendlichen Basisbildung ermöglicht, wir konnten in einigen Bezirken dank unserer langjährigen Förderpartner vielen tausenden Menschen eine medizinische Versorgung zuteil werden lassen und wir haben Brunnen und Wasserstellen gebaut.

Unser neuestes Projekt ist ein landwirtschaftliches Trainingszentrum für Frauen, in dem sie erstmalig Techniken für den Anbau von Getreide, Gemüse und Obst erlernen, damit sich die Ernährungssituation der Menschen in der Afar-Region mittelfristig und nachhaltig verbessert. Unserer Überzeugung nach wird sich die Lebenssituation dieser Menschen nur durch den Aufbau der Eigenversorgung zum Positiven verändern lassen!

Unser neues Projekt, ein landwirtschaftliches Ausbildungszentrum, soll die Ernährungssituation nachhaltig verbessern.

Weihnachtsvorbereitungen und Dankbarkeit inmitten der Herausforderungen der Afar-Region

Im Laufe der Zeit sind wir mit unseren Aktivitäten in die unzugänglichsten und abgelegensten Gebiete der Afar-Region vorgedrungen, in den Bezirk Eli Daar. Dieser ist in etwa so groß wie die Steiermark und dort leben derzeit rund 110.000 Menschen ohne Sozialwesen. Sie haben weder genug zu essen noch genügend Wasser, weder Zugang zu einem Gesundheitswesen noch zu Bildung –  und trotzdem müssen sie vor Ort ihr Auslangen finden!

Welcher Gedanke bleibt zurück? Dankbarkeit und Zufriedenheit, wieder nach Hause kommen zu dürfen, die Freuden der vorweihnachtlichen Zeit mit Freunden und Familie genießen zu können und Teil dieser Gesellschaft zu sein. Heute werde ich für meine beiden Burschen ein neues Handy und einen Gamingsessel kaufen gehen sowie ein schönes Spielzeug für mein Töchterchen.

Ich schätze mich glücklich, in einem der reichsten Länder der Erde geboren worden zu sein, eine Staatsbürgerschaft zu besitzen, auf die man stolz sein kann und ein sicheres Lebensumfeld zu haben, in dem wir nicht nur von der besten medizinischen Versorgung und der besten kostenlosen Schulbildung profitieren, sondern sich Fachleute nötigenfalls sogar auf Krankenkassakosten um unsere psychische Gesundheit kümmern!

Für die Menschen in der Afar-Region wünsche ich mir, dass es uns und der Weltgemeinschaft gelingen möge, ihr Elend so weit zu lindern, dass sie zumindest einen Bruchteil dessen, was für uns ganz selbstverständlich ist, in Anspruch nehmen können, damit ihrem Leben nicht auch noch der letzte Rest von Würde abhanden kommt.

Bitte unterstützen Sie uns auch weiterhin, damit wir unsere wichtige humanitäre Arbeit in der Afar-Region sowie in all unseren Projektländern fortsetzen können!

Ich wünsche Ihnen und uns allen ein fröhliches und friedliches Weihnachtsfest.

Herzlichst,
Ihr Erfried Malle