Stärke in schwierigen Zeiten: Wie der SONNE-Notfallfonds in Myanmar Leben verändert
In diesem bewegenden Interview berichten Jochen und San San von den Herausforderungen und Erfolgen des vergangenen Jahres in Myanmar.
Dank des SONNE-Notfallfonds konnte vielen Menschen in Not schnell und unbürokratisch geholfen werden. Lesen Sie mehr über die Geschichten und die beeindruckende Arbeit unseres Teams vor Ort ….
Inmitten der Kinder in den SONNE-Zentren fühlen sich SanSan und Jochen sichtlich wohl
San San: Jochen, es ist sehr viel geschehen im letzten Jahr in Myanmar, durch den Militärputsch, Bürgerkrieg und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Niedergang des Landes leider nicht viel Gutes. Die Not der Menschen am Rande der Gesellschaft wird größer und größer – in den Slums rund um unsere Zentren, in den Flüchtlingslagern und auch in den Waisenhäusern, in denen wir arbeiten – doch durch unseren Notfallfonds, konnten wir viel Gutes bewirken und vielen Menschen helfen!
Jochen: Ja richtig, Gottseidank gibt es unseren Notfallfonds – und viele wunderbare Unterstützer, denen das Schicksal der Menschen nicht egal ist – und die durch ihre Spenden/Beiträge sicherstellen, dass wir auch weiterhin rasch und unkompliziert helfen können, wo die Not am größten ist!
In Notsituationen muss schnell gehandelt werden, sei es mit Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung oder beim Wiederaufbau eingestürzter Hütten.
Jochen: San San, erzähl mal, was ist dir besonders in Erinnerung geblieben im letzten Jahr – welchen Notfall wirst du so schnell nicht vergessen?
San San: Was besonders schlimm war – du warst ja auch dabei – als vor einer unserer Schulen/Tagesbetreuungszentren, die wir dort gestartet haben, weil sie direkt neben einem großen und besonders “heftigen” Slum gelegen war – als dort im Mai, gerade am Beginn der Regenzeit, die Bulldozer auffuhren und Dutzende Häuser zerstört wurden, weil sie illegal auf “öffentlichem Land” errichtet worden waren. Auch viele unserer Schüler:innen und deren Familien waren direkt betroffen. Die Menschen hatten gerade noch Zeit, ihre paar Habseligkeiten wie Kochtöpfe oder Kleidung einzusammeln – viel mehr haben sie ja nicht – und dann mussten sie zusehen, wie ihre Behausungen dem Erdboden gleichgemacht wurden. Eine unserer Lehrerinnen, die sich um die Menschen kümmerte , wurde von Soldaten verhaftet und wir konnten sie nur mit viel Diplomatie und Glück wieder aus dem Polizeigewahrsam befreien. Wir haben dann gleich am nächsten Morgen unser Center aufgemacht, um den Menschen zu helfen, wo wir konnten. Für jene, die Familie außerhalb von Yangon haben, haben wir Bustickets organisiert, für 7 Familien haben wir Unterkünfte angemietet… Es waren traumatische Ereignisse. Wenn man in Europa lebt, kann man sich gar nicht vorstellen, dass so etwas einfach passieren kann. Man ist absolut machtlos – aber Gottseidank konnten wir direkt helfen!
Immer wieder stehen die Menschen in den Slums von Yangon vor dem Nichts
San San: Und du, Jochen, was war für dich ein prägendes Erlebnis im letzten Jahr?
Jochen: Es gab so viele Sachen, aber nie vergessen werde ich die kleine Aye Aye Moe, 11 Jahre, eine unserer Schülerinnen, die ich auch in Englisch unterrichtet hatte, die mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder in einer Slumbehausung nicht weit von unserer Schule lebte. Eines Tages am Beginn de Regenzeit wurde die Kleine krank, hatte Fieber und es ging ihr zusehends schlechter. Zuerst hat die Mutter den Ernst der Lage nicht erkannt. Sie kam erst zu uns, als das Mädchen schon nicht mehr ansprechbar war. Wir haben sie sofort ins Krankenhaus gebracht, wo die Ärzte und Schwestern sich sehr bemühten. Es stellte sich heraus, dass sie Dengue-Fieber hatte und sich das zu Meningitis (Hirnhautentzündung ) ausweitete. Als ich den Anruf von meinen Kolleginnen bekam, fuhrt ich sofort zum Krankenhaus, sie war kaum noch bei Bewusstsein, 2 Tage und Nächte waren ihre Mutter, meine Kolleginnen und ich an ihrem Krankenbett, es ging ihr zusehends schlechter, Delirium und extreme Schweißausbrüche, Schüttelfrost… 2 Tage hat sie noch tapfer gekämpft – in der 3. Nacht ist sie verstorben und am nächsten Tag war auch schon die Kremation, an der wir alle teilnahmen, das hat mich sehr mitgenommen.
Nur ein paar Tage später ist eine Klassenkameradin von ihr, auch 11 Jahre alt, beim Müll/Plastik Sammeln nach der Schule durch eine große Pfütze gewatet – es hing aber von einem Strommasten ein loses Kabel in die Pfütze und sie starb an einem elektrischen Schlag. Sie wurde Stunden später von anderen Straßenkindern gefunden. Jede Hilfe kam zu spät. Hier konnten wir nur noch für die Kosten für eine würdige Verabschiedung im Kreis ihrer Familie aufkommen. Solche Sachen gehen einem natürlich sehr sehr nahe …
Ja es sind traurige Zeiten in Myanmar, in vielerlei Hinsicht – aber wir konnten ja auch sehr viel Positives bewirken mit dem Notfallfonds!
Medizinische Nothilfe in Myanmar
San San: Ja, unsere wöchentlichen mobilen „Health camps”, bei den wir Menschen am Rande der Gesellschaft, die überhaupt keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und Medizin haben, eine Möglichkeit bieten einen Arzt zu konsultieren – sie sind eines der Herzstücke der Aktivitäten von SONNE in Myanmar. Sowohl in unseren Zentren, direkt in den Slums, als auch in den großen Flüchtlingslagern nördlich von Yangon, und in den Klostern/Waisenhäusern.Vor allem jetzt im Sommer (April/Mai), wenn extreme Hitze herrscht, und danach in der Regenzeit sind sehr viele Menschen krank. Vor allem Ältere, Kinder, Menschen mit Behinderungen und junge Muetter/schwangere Frauen leiden besonders unter der extremen Witterung. Sehr oft sind es Probleme, wo wir rasch helfen können, mit der Ausgabe von Rehydrationslösungen, Elektrolyten, Vitaminen Oft sind es auch entzündete Wunden am ganzen Körper, wo wir gut helfen können. Bei schwerwiegenden Fällen schicken wir die Menschen aber direkt ins Krankenhaus, wo wir die Kosten für die Hospitalisierung und Behandlung übernehmen. Dadurch können wir jedes Jahr viele Leben retten!
Jochen: Ja, ich erinnere mich auch noch an das verheerende Hochwasser im September nördlich von Yangon, wo die Menschen in den Flüchtlingslagern (Kriegsflüchtlinge aus dem Chin State), die ohnehin schon ihre Heimat und alles Hab und Gut verloren hatten, jetzt wieder vor dem Nichts standen. Ihre bescheidenen Behausungen standen gut 1,5 Meter unter Wasser. Auch hier konnten wir rasch helfen, wir haben in der nächsten Stadt Unterkünfte angemietet, wo die Menschen, vor allem Frauen, Kinder und Ältere ein Dach über dem Kopf hatten und eine Bleibe, bis die Flut nach über einer Woche wieder zurückging. San San, weisst du noch – im Jänner, da haben wir von dem Waisenhaus gehört, in dem 35 Kinder aus dem Chin State lebten, betreut von einem Pastor und seiner Frau, liebevoll aber mittellos – als wir da das erste Mal hinkamen?
San San: Ja, natürlich, das war sehr bewegend – all diese Kinder aus dem Kriegsgebiet, der Pastor tat, was er konnte, aber er hatte kein Geld und keine Unterstützer – wir haben Decken, Moskitonetze, Gewand und Reis gebracht – und auch unser Ärzteteam besuchte sie, da viele von ihnen krank waren. Infektionen, Fieber, Ausschläge am ganzen Körper. Wir sind nach wie vor in Kontakt mit dem Waisenhaus und sind bereit jederzeit wieder zu helfen. Da es auch direkt am Weg zu einem der Flüchtlingslager liegt, die wir betreuen, können wir uns regelmäßig um die Kinder kümmern. Jochen – da war doch noch was in den Flüchtlingslagern?
Jochen: Ja richtig, außer den regelmäßigen Health camps und der Verteilung von Lebensmitteln wie Speiseöl und Reis konnten wir in einem Flüchlingslager, Khumi Su, einen kleinen Kindergarten bzw. Vorschule bauen, wo über 20 Kinder im Alter von 2-6 Jahren liebevoll von 2 Lehrerinnen betreut werden. Das Gebäude wurde komplett aus Bambus erbaut, gemeinsam mit unserem Freund und Unterstützer Raphael, einem jungen französischen Architekten. Gemeinsam mit ihm haben wir auch in einem benachbarten Flüchtlingslager einen Schlafsaal für ein Kinderheim gebaut, auch komplett aus Bambus, in dem nun 30 Schülerinnen und Schüler, die aus den Kriegsgebieten flüchten mussten, eine Unterkunft gefunden haben, wo sie in relativer Sicherheit weiterhin die Schule besuchen können!
In den SONNE-Tagesstätten haben die Kinder einen sicheren Ort, an dem sie Kind sein können
Jochen: San San, das ist ja sehr beeindruckend, was wir hier als kleine Organisation bewegt haben für die Menschen im letzten Jahr! Ich möchte auch noch erwähnen, dass wir für all unsere über 300 Schülerinnen und Schüler aus den Slums, die täglich unsere Schulen besuchen, imWinter Decken und vor der Regenzeit Regenschirme zur Verfügung gestellt haben, alles nur möglich dank unserer Unterstützer! San San, wie wird es weitergehen?
San San: Es ist keine Besserung in Sicht, die Situation wird sich noch weiter zuspitzen. Neben der katastrophalen politischen (Bürgerkrieg) und wirtschaftlichen Lage, die mehr und mehr Menschen in bittere Armut und Not treibt, und den immer extremer werdenden Wetterereignissen durch den weltweiten Klimawandel – jetzt die extreme Hitzewelle, dann Überflutungen und Stürme wie der Orkan Mokka letztes Jahr – es werden große Aufgaben auf uns zukommen in den nächsten Monaten und Jahren, wir werden helfen, wo wir können, aber die Not ist so groß an so vielen Stellen! Wir können leider nicht überall helfen, da wir nur so viel ausgeben können, wie wir durch den Notfall-Fonds zur Verfügung haben. Was machen wir da?
Ohne die Hilfe aus dem SONNE-Notfonds hätte dieses Kind nichts zu essen und könnte nicht zum Arzt gehen, wenn es krank ist
Jochen: Ja, das ist auch mein schlimmster Alptraum, und oft wache ich nachts auf und kann nicht mehr schlafen, weil all diese Ereignisse und die Schicksale der Menschen, deren einzige Hoffnung oft wir sind, mir keine Ruhe lassen. Das absolut Schlimmste, was ich mir vorstellen kann – aber durchaus möglich – ist, dass unser Notfallfonds eines Tages leer ist und wir Menschen, die unsere Hilfe benötigen, wegschicken müssen, dass wir keine medizinische Versorgung, keine Notfallrationen von Reis mehr verteilen können, weil wir kein Geld mehr haben. San San, ich verspreche Dir, ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, meine Kontakte, meine Reichweite auf Social Media, ich werde nichts unversucht lassen, um dieses Szenario zu verhindern, dass wir nicht mehr helfen können weil wir keine finanziellen Reserven mehr haben. Dazu bin ich schließlich unter anderem hier. Gemeinsam werden wir das schaffen mit unserem wunderbaren Team vor Ort!
San San: Ja, es ist sehr schwierig. Ich glaube, dass viele Menschen auf Myanmar vergessen oder gar nicht wissen, was hier eigentlich los ist. Wir müssen alles versuchen, um die Menschen in Europa auf die Not hier in Myanmar aufmerksam zu machen – und sie bitten, uns finanziell zu unterstützen! Dann können wir auch weiterhin da sein für die Menschen hier, um die sich leider sonst niemand kümmert! Es gibt soviel Not und nur so wenige Organisationen, die hier helfen – auch weil es aufgrund der aktuellen Lage schwierig und gefährlich ist – aber wir werden nicht aufgeben!
Jochen: Nein das werden wir nicht, wir werden gemeinsam alles tun, was in unserer Macht steht, um so vielen Menschen wie möglich hier zu helfen – durch das effektivste Werkzeug das wir haben – unseren Notfallfonds!