Erfried Malle auf Projektreise in Äthiopien
Diesmal habe ich meine lang ersehnte Projektreise nach Äthiopien mit sehr gemischten Gefühlen angetreten.
Einerseits war die Freude groß, nach fast 2 langen Corona-Jahren endlich wieder einmal in die Afar-Region zu fahren, wo wir derzeit 3 große Projekte am Laufen haben, andererseits haben mich die internationalen Nachrichten über den aktuellen brutalen Krieg doch etwas nachdenklich gestimmt …
Erfried im Gespräch mit jungen äthiopischen Müttern
48 Grad ist noch erfrischend kühl
Gleich nachdem das Flugzeug in Semera, der lokalen Hauptstadt der Afar-Region gelandet war, tauchten wir sofort in die Normalität einer funktionierenden Wüstenstadt ein, in der es schon nach Sonnenaufgang über 35 Grad Celsius hat.
Unsere Ziel: Eli Daar, der nördlichste Bezirk der Afar-Region, direkt an der eritreisch- dschibutischen Grenze gelegen; hier war es tagsüber so richtig brennend heiß, das Thermometer kletterte auf 48 Grad. Den Jeep, der uns in ganz abgelegene nomadische Siedlungsgebiete zu unseren Projekten brachte, konnte ich kaum mehr berühren, denn sofort hatte ich das Gefühl, mich zu verbrennen. Wir hatten an jenem Tag noch Glück, denn hier, in der heißesten Region der Erde, in der noch Menschen leben, kann es schon mal sein, dass das Thermometer im Hochsommer auf 55 Grad und noch höher steigt.
Ein Jahr ohne einen Tropfen Wasser
In vielen Gebieten, so habe ich erfahren, hat es schon seit mehr als einem Jahr überhaupt keinen Tropfen Regen gegeben und dort, wo doch noch etwas Regen fiel, kamen viel zu wenige Liter pro Quadratmeter zusammen, sodass der Boden schon am nächsten Tag wieder vollkommen ausgedörrt war.
Die seminomadischen Afar, von denen es länderübergreifend insgesamt 2,4 Mio. gibt, haben in vielen Gebieten seit Jahren keinen Grund mehr, mit ihren Tierbeständen saftigen Weidegründen und günstigeren Wetterlagen zu folgen, denn die Dürre in den letzten Jahren, die immer schlimmer wird, hat alle Weiden vertrocknen und ihre stark dezimierten Tierherden verenden lassen.
Unser Team bei der Projektevaluierung
Diese Reise war besonders schwer
Für mich, der das Land und deren Bewohner seit 2005 regelmäßig besucht und viel gesehen hat, war es diesmal besonders schwer zu ertragen und anerkennen zu müssen, dass es mit dieser vormals relativ gut bewohnbaren Region aufgrund des Klimawandels sichtlich zu Ende geht. Jegliche Lebensgrundlage, so scheint es, ist den Menschen abhandengekommen. Es gibt keinen Regen mehr und auch kein Vieh, keine Nahrung und schon gar nicht eine gute Zukunft für diese Menschen. Und nun ist auch noch die Schlimmste aller Befürchtungen eingetreten: ein brutaler Krieg, der den Menschen auch noch das Allerletzte zu nehmen vermag – die Würde!
Auch der Ambulanzwagen bleibt nicht von Kriegshandlungen verschont.
Kein Wasser ohne Ziegen
Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich von so schrecklich traurigen Begebenheiten gehört. Ich habe mit unzähligen DorfbewohnerInnen gesprochen, alle haben mir das Gleiche berichtet: Die Dorfgemeinschaft muss sich das Trinkwasser durch den Verkauf ihrer Ziegen finanzieren. Noch nie habe ich in den letzten 17 Jahren so wenige Ziegen in den Dörfern und bei den einzelnen Familien gesehen. Fast alle Ziegen, deren Milch die Nahrungsgrundlage aller Babys und Kinder darstellt, sind anscheinend bereits dem Krieg und der Wasserversorgung zum Opfer gefallen.
Ein Mann versucht mitten in der Wüste ein Zitronenbäumchen aufzuziehen
Eine normale Entwicklung ist für Kinder hier undenkbar
Von unserer Projektpartnerin Valerie, die uns seit Anbeginn unseres Engagements in Äthiopien begleitet, erfuhr ich, dass die Projektregion unter einer noch nie dagewesenen Dürre- und Hungerkatastrophe leidet und mehr als 50% der Kinder chronisch unterernährt sind.
Chronischer Hunger ist nicht nur irgendein Terminus, an dessen Wortlaut wir uns schon gewöhnt haben. In mir erzeugt er eine tiefe Traurigkeit, denn das bedeutet, dass sich bei mehr als 50% aller Kinder die Gehirnentwicklung aufgrund des Hungers nicht nur verzögern wird, sondern dass sie einen nicht wieder gut zu machenden Schaden erleiden werden. Daraus folgt, dass sich das Land und die Menschen nicht normal entwickeln werden, sondern dass in der nächsten Generation auch bei normalem Zugang zu Ressourcen Menschen heranwachsen werden, die sich den intellektuellen Herausforderungen der Zukunft nicht adäquat stellen können.
Erfried mit chronisch unterernährten äthiopischen Kindern
Nicht nur das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen
Neben ganz vielen anderen katastrophale Berichten habe ich erfahren, dass im nur 2 Kilometer entfernten Flüchtlingslager in Dubti täglich 2-3 Kinder sterben müssen, weil sie schmutziges Wasser trinken müssen und dass sich in diesem einen Bezirk in den letzten Wochen mehr als 100.000 Binnenflüchtlinge niedergelassen haben, die von den Kriegswirren vertrieben wurden. Ich habe mit Verwaltungsbeamten der Regierung gesprochen, die mir auch vom nahezu nicht existenten und zusammengebrochenen Gesundheitssystem berichteten. Es gab in Eli Daar 4 Ambulanzwägen, von denen jedoch 3 nicht mehr einsatzbereit sind. Daher gibt es nur mehr ein Rettungsfahrzeug für 150.000 Menschen!
Die TPLF-Soldaten vom Hochland haben nicht nur Ambulanzwägen zerstört, sondern auch wichtiges medizinisches Gerät in den wenigen Health Posts, sie haben mit Hammer und Zangen die Laborgeräte zertrümmert, Benzin in die Ultraschall- und Röntgengeräte geschüttet und diese dann angezündet, nur um jegliche Versorgungs- und Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung zu vernichten.
Der Gesundheitsbeauftragte steht der Situation ohnmächtig gegenüber – die Regierung hat kein Geld für Basismedizin
Die Arbeit von 17 Jahren – was ist davon geblieben?
Ziegen wurden mit Maschinengewehrsalven erschossen, ebenso die Kamele und Kühe. Brunnen wurden zerstört und auch das Tiefbohrgerät unserer Partnerorganisation vernichtet. Es scheint alles so sinnlos!
Und was wollen die Kriegsparteien? Vermutlich sich das Land, das an der Oberfläche so trocken und ausgehungert ist, mit seinen unzähligen Ressourcen unter der Erde unter den Nagel reißen. Zehntausende Tote in einem Jahr und mehrere Millionen Flüchtlinge sind der Blutzoll für diesen schrecklichen Krieg, der nur für den Machterhalt und den Reichtum einiger Weniger ausgetragen wird und der die Hölle für hunderttausende Menschen darstellt.
Wenn man bedenkt, dass das Leben für diese Menschen vor 17 Jahren besser als heute war, dann muss man sich natürlich auch die Frage der Rechtfertigung aller Hilfsmaßnahmen stellen. War es sinnvoll, so viele Millionen Euro in die Entwicklung dieser Regionen zu stecken, da nun der Krieg und der Klimawandel wieder alles zerstört hat?
Mädchen (8) mit Klumpfuß. Ein Orthopäde könnte helfen, – den gibt es aber nicht vor Ort!
Es ist unser humanitärer Auftrag, diesen Menschen beizustehen!
Ja, liebe Leser und Leserinnen: Es ist unser humanitärer Auftrag, den Menschen in ihren schwersten Nöten beizustehen. Jetzt wissen wir, auch durch die Geschehnisse in unseren europäischen Nachbarländern, dass der Kampf um die Würde des Menschen immer weitergehen muss. Die Entwicklung der Menschen darf nicht durch humanitäre Rückschläge zum Stoppen gebracht werden, sondern muss mit guten Beispielen für ein humanitäres Miteinander voranschreiten. Egal, wohin sich das aktuelle politische Umfeld auch bewegt.
Eine unserer äthiopischen Hebammen
Wir von SONNE-International machen weiter, so gut es geht. Momentan betreiben wir drei große Projekte, zwei zur Förderung der Müttergesundheit für die wohl ärmsten Menschen der Welt und ein Projekt zum Aufbau eines landwirtschaftlichen Trainingszentrums. Mit dem erworbenen Wissen sollen sich die Menschen, die derzeit alles verloren haben, in Zukunft eine eigene Existenz als Bauern aufbauen können und somit wieder zu Selbstversorgern werden. Ob dies gelingen wird, steht in den Sternen…
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute!
Herzlichst!