Melkam Genna – frohe Weihnachten in Äthiopien
Unser externer Experte Stefan „Stippe“ Bartusch ist wieder in Äthiopien unterwegs und schickt uns frohe Weichnachtsgrüße und ein paar spannende Geschichten.
Guten Morgen Äthiopien
Endlich Frieden!
Frohe Weihnachten kann ich deshalb wünschen, weil es endlich Frieden zwischen den aufständischen Truppen der Tigray Befreiungsfront (TPLF) und der äthiopischen Regierung geben soll.
Ebenso wie der andere dumme Krieg in Europa ist auch dieser hier ein Bruderkrieg mit verheerenden Folgen, an denen vor allem die Bevölkerung leidet. Vergehen gegen Menschen- und sogar Kriegsrecht sind vielfach dokumentiert. Und hier wie dort gibt es keine „gute“ Seite, denn der Krieg macht Menschen zu Bestien.
Auch unsere Projektregieon war vom Krieg betroffen.
In Äthiopien wurde der Krieg hauptsächlich in den Provinzen Amhara und Tigray ausgetragen, aber auch die Projektregion von SONNE-International, benannt nach der Ethnie der Afar, war stark von den Kämpfen betroffen, da die wichtigste Durchzugsstraße – militärisch wie wirtschaftlich – durch deren Gebiet führt. Und – naja, die muslimischen Afar mit ihrer traditionell nomadischen Lebensweise werden von den christlichen Bauernvölkern im Hochland ohnehin verachtet. Also hat man kurzerhand Geschäfte niedergebrannt, Infrastruktur zerstört, Tiere ohne Sinn geschlachtet… und welch unfassbare Verbrechen an Menschen hier begangen wurden, will ich erst gar nicht erzählen. Erst im Mai dieses Jahres habe ich eine der größeren Siedlungen, in denen es Kampfhandlungen gab, besucht. Und was ich dort gehört und gesehen habe, will ich hier nicht niederschreiben.
Kamelmilch vom Markt bei der Busstation in Logiya.
Der Krieg ist nicht das einzige Problem
Als wäre das nicht genug, bedeutet ein Krieg auch immer einen enormen Verfall der Währung, Lieferengpässe und damit steigende Kosten für Grundbedürfnisse wie Lebensmittel, Strom und Wasser – gesteigert noch dazu durch die Auswirkungen der COVID-19 Krise, deren bisheriger Höhepunkt zeitgleich mit den Kampfhandlungen standfand und deren Ende noch nicht wirklich absehbar ist. Hinzu kommen die anhaltende Dürre und heuer zur Abwechslung einmal eine kurze, aber heftige Regenperiode, die Überschwemmungen zur Folge hatte – ein Ergebnis des Klimawandels.
Die Kostenexplosion
Zum Verständnis: hier kostet der Liter Benzin mit 95 Oktan derzeit € 2,34. Sollte eigentlich niemanden stören, da ohnehin niemand ein eigenes Fahrzeug hat, oder? Was aber wie der wahrgewordene und sicher nicht unberechtigte Traum der Klimaschützer klingt, bedeutet hier hohe Transportkosten für Lebensmittel oder eine Überstellung ins Krankenhaus. Ja, was bei uns ein bisserl weh tut, ist in Äthiopien lebensbedrohend.
Bis vor ein paar Jahren noch undenkbar, verkaufen heute zahlreiche Afar ihre kostbare Kamelmilch. Diese ausgesprochen gesunde und bekömmliche Milch (auch für Menschen mit Laktoseunverträglichkeit geeignet), die vielerorts auf der Welt als köstliche Spezialität gilt, ist hier das Grundnahrungsmittel und war bis vor Kurzem bestenfalls als Geschenk für Gäste vorgesehen. Mein Kollege Osman hat für mich einen Liter besorgt – für umgerechnet € 2,45.
Was Osman als Projektmanager bei unserem Partner APDA so verdient? Etwa € 280,- bis €300,- pro Monat. Und auch in der Afar-Region ist Wohnen nicht kostenlos…
Wir helfen seit fast 20 Jahren
Auf jeden Fall ist die Abhängigkeit der Afar-Region von höherwertigen Gütern und Leistungen sowie Nahrung aus den benachbarten Provinzen und dem Ausland ein ganz entscheidender Hemmschuh für die Entwicklung und Sicherheit der Bevölkerung und ihrer Existenz als eigenständige Gesellschaft. Und GENAU an dieser Problematik arbeiten wir mit unserem Partner APDA (Afar Pastoralist Development Agency) seit mittlerweile fast 20 Jahren.
Unsere unterschiedlichen Hilfsprojekte
Was einst mit einer Alphabetisierungskampagne mit Hilfe mobiler Schulen begann und sich mit kleineren Projekten für die Wasserversorgung oder die Aufstockung von Ziegenherden als Ersatz für während der Dürren umgekommene Tiere entwickelt hat, umfasst heute Gesundheitsprojekte in fünf Bezirken (Woredas) mit Schwerpunkt auf Mütter- und Kindergesundheit, gefördert durch die Else-Kröner-Fresenius-Stiftung und das österreichischen Sozialministerium, sowie – ganz neu – ein landwirtschaftliches Programm für innovative lokale Anbau- und Verarbeitungsmethoden von Früchten, Gemüse und Getreide für Mensch und Tier.
Stippe im Landwirtschaftlichen Ausbildungszentrum.
Neue Projekte in Vorbereitung
Mit Förderung der ADA (Austrian Development Agency) soll dieses Programm einerseits eigenständige agrartechnische Entwicklungen vorantreiben, Kombinationen aus traditionellem Wissen und neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen umsetzen sowie die Nahrungsmittelsicherheit der Region durch eigene Produktion unterstützen, andererseits soll im eigenen Schulungszentrum eine neue Generation von Landwirt:innen ausgebildet werden.
Bewässerungsanlage im Schulungszentrum.
Stippes Weihnachtswünsche
Womit wir bei meinen Weihnachtswünschen angelangt sind… was wünscht sich ein überzeugter Atheist mit Anwandlungen zum Grinch?
Ich wünsche mir, dass ich meine Projekte hier erfolgreich umsetzen kann und dabei weiterhin auf die Unterstützung meiner Kolleg:innen hier in Äthiopien und daheim in Österreich zählen kann. Ich wünsche mir, dass das fast inexistente Ambulanzwesen mit neuen, innovativen Fahrzeugen aufgewertet wird und dass ich generell bei der medizinische Versorgung der entlegenen Siedlungen mithelfen darf; ich wünsche mir, dass SONNE-International und APDA wieder gemeinsam Bildungsprojekte – die Grundlage aller Maßnahmen in der Entwicklungszusammenarbeit – aufbauen und natürlich wünsche ich mir, dass unser neues Projekt mit dem agro-technischen Innovations- und Bildungszentrum reiche Früchte trägt – im wahrsten Sinne des Wortes!
Die nächste Reise nach Äthiopien kommt bestimmt.
Unrealistisch? NEIN – und ich werde hart daran arbeiten, dass diese Wünsche in Erfüllung gehen! Auch dadurch, dass ich zumindest zweimal pro Jahr auf ein paar Wochen vor Ort sein und mit Experten – lokalen wie internationalen – mein Team von APDA unterstützen werde.
Denn die größten Wünsche muss man sich selbst erfüllen.
Also dran bleiben – spätestens in einem Vierteljahr werde ich wieder berichten!
Melkam Genna,
Euer Stippe
PS: Weihnachten wird in der orthodoxen äthiopischen Kirche am 7. Jänner gefeiert – aber Weihnachten bleibt Weihnachten, oder? Und der Wunsch nach Frieden ist universell…
Das SONNE-Team in Äthiopien.