Wie die SONNE nach Äthiopien kam – und blieb
Wir schrieben das Jahr 2004 und nach vielen Schulbauten in Bangladesch waren mein Ehrenamtsteam und ich bereit, uns ein nächstes Kooperationsland vorzunehmen
Hilfe von unerwarteter Seite
Damals war uns klar: Wenn SONNE ein neues Land in Afrika erschließen wollte, dann musste es unter allen Umständen Äthiopien sein! In keinem anderen Land der Erde war das öffentliche Bildungssystem derart schlecht wie in Äthiopien. Außerdem war ich mit dem Land bereits sehr vertraut, denn ich hatte es bereits einige Jahre zuvor bestens kennengelernt und viele berufliche Erfahrungen vor Ort sammeln können. Daher verfügte ich über einige lokale Kontakte, die mir sicherlich gut weiterhelfen könnten. Ich hatte auch schon klare Vorstellungen, wie unsere SONNE-Hilfe vor Ort auszusehen hatte. Das einzige Problem, das mir damals als nahezu unlösbar erschien, war die Tatsache, dass wir für eine Expansion kein Geld hatten, denn alle Spenden flossen nach Bangladesch.
Eines Tages rief mich voll Freude Karin Hofer an, die damals die Schriftführerin unseres Vereins war. Karin arbeitete als Key Account Managerin bei der MEDIACOM. Eines Tages, so erzählte sie mir, legte sie einen SONNE-Folder auf den Schreibtisch ihres Chefs, Herrn Peter Lammerhuber. Als er sie darauf ansprach, erzählte sie ihm von ihrem ehrenamtlichen Engagement bei der SONNE. Peter war sofort begeistert und tags darauf wurde ich zu einem Gespräch in den 26. Stock der Twin Towers am Wienerberg eingeladen. Damals hoffte ich, dass die MEDIACOM die Kosten für eine weitere Schule in Bangladesch übernehmen würde.
Ein voller Besuchsplan für 6 Wochen im Gepäck
In schwindelerregenden Höhen angekommen, wurde ich in Peters Büro geleitet. Nach einiger Zeit betrat er schwungvoll das Zimmer, nahm Platz und forderte mich auf, mit meinen Erklärungen loszulegen. Geduldig und aufmerksam folgte er meinen Geschichten zu Bangladesch. Dann unterbrach er mich und sagte. „Weißt du, das Leben hat es sehr gut gemeint mit mir. Ich möchte der Gesellschaft etwas von meinem Glück zurückgeben und eine Schule in Afrika bauen. Kann ich das mit dir machen?“ Ich war verdutzt über dieses konkrete Angebot, schluckte einmal kurz und sagte: „Selbstverständlich, da bin ich ganz der Richtige! Ich weiß auch schon, wo wir diese Schule bauen werden: In Äthiopien! Dort werden noch ganz viele Schulen benötigt!“
Für Peter war das in Ordnung und so brach ich im September 2004 nach Äthiopien auf, um einen geeigneten Partner für unser erstes Schulprojekt zu finden.
Die Monate vor meiner Abreise verbrachte ich mit intensiven Internet-Recherchen und nahm schon vorab mit unterschiedlichen lokalen NGOs Kontakt auf, sodass ich beim Abflug nach Addis Abeba einen vollen Besuchsplan für 6 Wochen im Gepäck hatte sowie 5000 Euro in bar, um ein erstes Bildungsprojekt zu unterstützen. Das Geld hatten wir in den Monaten vor meiner Abreise gesammelt, damit wir unsere Arbeit vor Ort sofort aufnehmen konnten.
Erste Eindrücke
Mein alter Freund Mussie Hailu, mit dem ich zuvor schon 5 Jahre lang in Äthiopien zusammengearbeitet hatte, organisierte unseren ersten Termin, der mich zu einer NGO auf den Hausberg von Addis Abeba führte, den Entoto Mountain. Dort gab es eine Volksschule, die aus allen Nähten platzte und unbedingt aufgestockt werden sollte, wofür jedoch kein Geld vorhanden war.
Der Direktor und der Chef der lokalen NGO führten uns durch das marode und komplett verdreckte Schulgebäude. Nach der Schulbesichtigung setzten wir uns gemeinsam ins nächstgelegene Kaffeehaus, um alle notwendigen Aktivitäten durchzudiskutieren. Diese kleine verfallene Schule sollte renoviert, vergrößert und sogar um ein Stockwerk erhöht werden – so unser erster Plan. Doch es kam dann doch ganz anders. Ganz zum Schluss teilte ich meinem Counterpart freudig mit, dass ich bereits Geld für die Renovierung gesammelt hatte und ihm 5000 Euro übergeben könne.
Five thousand Euros is garbage money
Da passierte etwas völlig Unerwartetes: Der Chef der NGO fiel aus allen Wolken. „Waaass, schrie er? Nur 5000 Euro? Du willst uns heute nur 5000 Euro für unser Projekt geben? Five thousand Euros is garbage money “– sagte er, “I expected a minimum of 100.000 Euros!“ Ich zuckte zusammen – Unverständnis und Entsetzen kamen in mir auf, ich war völlig perplex. Mein Freund Mussie und ich blickten uns verwundert an. Dann brachen wir beide in herzhaftes Lachen aus. Wir konnten es nicht glauben, dass dieser Mann unser hart erspartes Geld als „Garbage Money“, als „Abfall-Geld“, bezeichnete, nur, weil er sich mehr erhofft hatte. Wir schüttelten den Kopf, standen auf und verließen schnurstracks das Café. Dass es so etwas geben konnte! Mehr brauchte ich an diesem Tag nicht.
Als ich Valerie Browning traf …
Die nächsten Tage verbrachte ich damit, weitere lokale NGOs, die ich übers Internet gefunden hatte, in Addis Abeba aufzusuchen und deren Projekte genau unter die Lupe zu nehmen – erfolglos. Nach vielen Gesprächen und Besuchen hatte ich das Gefühl, dass jeder nur auf unser Geld abzielte und keiner sich so richtig um das Wohl der Menschen, die Hilfe brauchten, kümmerte.
Dann hatte ich im Kooperationsbüro der Austrian Development Agency (ADA) einen Termin bei Herrn Dr. Leonhard Moll, der das Büro vor Ort leitete. Hier konnte ich mich bestens über lokale Organisationen informieren, denn das EZA-Büro arbeitet viel mit ihnen zusammen. Mit fünf Adressen im Gepäck machte ich mich Tage später mit dem Bus auf den Weg Richtung Norden des Landes, um diese aufzusuchen, ihre Arbeit anzusehen und um danach richtig einschätzen zu können, ob eine von diesen Organisationen für uns ein guter Partner wäre.
Eine Woche später war ich in der Afar-Wüste angekommen. Sofort zog mich die spektakuläre wüstenhafte Umgebung, die einer Mondlandschaft ähnelt, in ihren Bann. Einige Tage später saß ich schließlich im total verstaubten Büro von Valerie Browning, einer damals etwa 50-jährigen australischen Krankenschwester, die als 20-Jährige zur Zeit der großen Hungerkatastrophe in den 80er Jahren nach Äthiopien reiste, sich in einen Afar-Clanführer verliebte und dann in einer lokalen NGO namens APDA (Afar Pastoralist Development Association) hängen blieb.
In 17 Jahren, soooo viel erreicht !
Schon nach wenigen gemeinsam verbrachten Stunden wusste ich, dass Valerie die richtige Partnerin für unsere SONNE sein würde. Es stimmten die Chemie, die Gegend und der Enthusiasmus der Organisation. Wir verstanden uns von Anfang an bestens und hatten den richtigen Draht zueinander. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mit dieser neuen Partnerschaft im Rucksack kehrte ich nach Wien zurück, traf Peter wieder und erzählte ihm von den Erfahrungen, die ich in Äthiopien gemacht hatte.
Zwar konnte ich ihm keine Schule in Äthiopien anbieten, um sie gemeinsam aufzubauen, jedoch mobile Schulklassen unter Bäumen, in denen Nomadenkinder lesen und schreiben lernen sollten. Peter war begeistert von dieser Idee und sicherte mir eine 5-jährige Unterstützung für das Projekt zu.
Glücklicherweise gelang es uns in den nächsten zwei Jahren, die sehr großzügige jährliche Spende der MEDIACOM mittels öffentlicher Förderungen und weiterer Sponsoren zu vervielfachen und so unseren anfänglichen Plan, nur Nomadenschulen aufzubauen, durch mehrere Gesundheits-, Wasser-, Aufklärungs- und Notfallprojekte stark auszuweiten.
Schnell wurde Äthiopien zu unserem neuen Schwerpunktland, in dem wir tausende Kinder in 30 sogenannten Nomadenschulen unterrichteten, tausende Frauen medizinisch mittels mobiler Gesundheitsbeauftragter versorgten und hunderttausende Menschen bezüglich der weiblichen Genitalverstümmelung aufklärten.
So haben wir unser Engagement am Horn von Afrika begonnen und aus den ersten 5000 Euro sind mittlerweile schon mehr als 2 Mio. Euro geworden, die wir nach Äthiopien senden konnten. Ich denke, der Chef der Schule am Entoto-Berg, der unsere 5000 Euro verschmäht hatte, würde sich in den Hintern beißen, wenn er wüsste, was SONNE in den letzten 15 Jahren in der äthiopischen Afar-Wüste alles erreicht hat.
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