Wie zwei Geschwister, die gemeinsam aufgewachsen sind und sich gegenseitig inspirieren
Valerie Browning kam 1973 als australische Krankenschwester nach Äthiopien, um in der größten Hungerkatastrophe als Freiwillige zu helfen. Gemeinsam mit ihrem Mann Ismael Ali Gardo gründete sie die Afar Pastoral Development Association (APDA), die seit 2005 die Partnerorganisation von SONNE-International in Äthiopien ist.
Der gute Patenonkel aus dem Märchen
2022, wenn SONNE-International zwanzig Jahre alt wird, besteht auch die Partnerschaft mit APDA (Afar Pastoralist Development Association) bereits seit 17 Jahren. Wir trafen uns im Büro der damaligen AEDC (Austrian Embassy Development Cooperation), als APDA mit der betrüblichen Tatsache konfrontiert wurde, dass die österreichische Regierung keine lokalen NGOs mehr finanzieren würde und dass daher auch die Unterstützung für 24 von APDAs Frauenbeauftragten auslaufen würde.
Doris, die Programmdirektorin von AEDC, war bestürzt darüber, diese Frauenbeauftragten – die in der äußerst paternalistischen Afar-Gesellschaft, in der die weibliche Bevölkerung stark unterdrückt wird, einen Sinneswandel bewirken sollen – bei ihren wichtigen Tätigkeiten nicht länger unterstützen zu können. Zum Glück fand APDA schnell einen gleichgesinnten Freund und Partner in SONNE-International.
In dieser Situation erschien mir Erfried Malle, der herausfinden wollte, mit wem und auf welchen Gebieten seine relativ junge Wiener NGO eine Partnerschaft eingehen könnte, wie der gute Patenonkel aus dem Märchen. Hoffnungsvoll stellte uns Doris einander vor und schlug vor, ich solle Erfried in die Afar-Region mitnehmen um zu sehen, was er meinte. Sowohl Doris als auch Erfried zählen seither zu meinen am meisten respektierten Freunden, weil sie sich beide auf die wirklichen Anliegen der Afar-Viehhirtengesellschaft einlassen und nach dem besten Weg suchen, um sicherzustellen, dass sich diese stark vernachlässigten Menschen in eine positive Richtung entwickeln können.
Valerie im Gespräch mit dem SONNE-Team
Die befreundeten Nomaden aus dem Westen
Obwohl die Corona-Pandemie seit 2020 Besuche verhindert, wird das SONNE-Team unter Erfrieds Leitung in der Afar-Gesellschaft immer als „befreundete Nomaden aus dem Westen“ („western nomads“) betrachtet werden. Gleich nach der Ankunft auf dem örtlichen Flughafen geht es mit dem Geländefahrzeug hinaus zu den Menschen, um aus nächster Nähe zu sehen, wie die aktuelle Lage ist, und Afar zu treffen, die zu Freunden geworden sind.
Mit seinen paar Brocken der Afar-Sprache ist Erfried durchaus in der Lage, beim Straßenstand Tee und Frühstück zu bestellen, um dann weiterzuhasten und die Nacht in einem abgelegenen Dorf zu verbringen, wo er mit den Menschen Kamelmilch trinkt und selbstgebackenes Brot isst. Überall in der Afar-Community ist das SONNE-Team bekannt dafür, mit den Menschen freundlich und auf Augenhöhe zu kommunizieren, auch wenn es manchmal zu Missverständnissen kommt – wie zum Beispiel, wenn ihm seine Gastgeber vorschlagen, Erfried möge doch eine Ziege mit nach Hause nehmen, damit seine Familie frisches Fleisch genießen könne! Ihr Mitgefühl mit den Frauen und Kindern ist so offensichtlich und eines der Bindemittel, die die SONNE-APDA-Beziehungen so fest zusammenhalten.
Bei einer Frühstückspause in Awra verliebte sich einer von Erfrieds Begleitern richtiggehend in ein kleines Mädchen und kam irgendwie auf die Idee, es nach Wien mitnehmen zu können. Das Mädchen, das im Schlamm spielte, während seine Mutter die Gäste bediente, war sehr, sehr schmutzig, aber fasziniert von den weißen Gästen und durchaus zugänglich. Als wir die Rechnung bezahlten und ich der Mutter die Frage übersetzte, ob sie das Mädchen „übergeben“ wolle, brach sie in Tränen aus!!
Ja, Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters und es gibt sie tatsächlich, die Anknüpfungspunkte zwischen der unterentwickelten Welt der Afar und dem Westen. Und einer von ihnen ist das Mitgefühl, das SONNE immer wieder unter Beweis stellt.
Die Lebenswelt der AFAR-Nomaden
Voll von außergewöhnlicher Energie
Wenn man über den Verlauf unserer Beziehung zu SONNE spricht, muss man auch über den Fortschritt in der Gemeinschaft der Afar-Viehhirten berichten, der beinahe vom Nullpunkt bis zum Beginn von Sozialleistungen führt, immer mit dem Ansatz, durch Innovationen voranzukommen.
Ohne Corona-Virus sind Erfried und seine Kollegen alljährliche Besucher von APDA und den ländlichen Gemeinden. Voll von außergewöhnlicher Energie wollen sie selbst sehen, wie das, was sie unterstützen, tatsächlich vorankommt – aber nicht nur das, mit innovativen Ideen bemühen sie sich ständig um weitere und größere Erfolge.
Alphabetisierung, Bildung und mobile Gesundheitsversorgung
Bei der Unterstützung einer Community namens Uwwa im Westen der Afar-Region, wo es keinerlei soziale Infrastruktur gab, arbeitet SONNE seit 2005 mit APDA eng zusammen, beginnend mit Frauenbeauftragten (wie schon zuvor beschrieben), um bald darauf mit Alphabetisierung und Bildung und schließlich mit mobiler Gesundheitsversorgung weiterzumachen.
Dieser dreifache Ansatz ist das Modell, das APDA bei seinem Programm für die Nomaden vom Stamm der Afar durchgehend einsetzt, und SONNE beschloss sehr bald, uns dabei zu unterstützen, in dem Bestreben, rasche Verbesserungen zu erzielen.
Wenn es am Abend kühler wird, lernt sich’s leichter
Die Schulen unterm Baum
In Uwwa waren 13 Jahre harter Arbeit und zielstrebiger Unterstützung durch SONNE nötig, bevor Teile des Erreichten an die lokalen Regierungsbehörden übergeben werden konnten. Die Herausforderung besteht darin, dass die lokalen Behörden selbst relativ neu sind und von der Verwaltung der kleinen Städte ausgehend nur langsam in die ländlichen, ziemlich unwirtlichen Afar-Gebiete vordringen.
Viele der Gegenden, in denen APDA tätig ist, können nur schwer oder gar nicht mit einem Fahrzeug erreicht werden. Normalerweise muss man etliche Kilometer zu Fuß gehen, um die nomadischen Siedlungen zu erreichen, wo das medizinische Personal, die Frauenbeauftragten und die Lehrer im Einsatz sind. Da APDA nicht in Infrastruktur investiert, wird der Unterricht unter einem Baum abgehalten, die medizinische Betreuung erfolgt durch Hausbesuche und fast 90 Prozent der Geburten finden in einer Nomadenhütte statt.
SONNE hat APDAs unorthodoxen Weg von Bildung und Gesundheitsversorgung immer zuverlässig mitgetragen und die Mittel zur Verfügung gestellt, um Chancen für die nomadische Gesellschaft zu eröffnen und Leben zu retten. Das hat zu vielen erfolgreichen, innovativen Einfällen geführt, die von unterstützender Solarbeleuchtung, Regenwassergewinnung und dem Wiederaufbau von Ziegenherden bis zu Trinkwasseraufbereitung reichen.
Im Schritttempo eines Kamels
Alles Ideen, die rasch verwirklicht wurden von zwei Partnern, die einander kennen und schätzen – SONNE und APDA. Derzeit ist SONNE entschlossen, den Einsatz von Motorradambulanzen zu ermöglichen, um Gebärende, bei denen ein problematischer Geburtsverlauf droht, von abgelegenen Orten ins Krankenhaus bringen zu können. SONNE gibt dem Volk der Afar nicht nur Starthilfe auf dem Weg zu medizinischer Versorgung und Bildung, sondern leistet auch Außerordentliches, um diesen vergessenen, vernachlässigten Teil der Welt mit dem Westen zu verlinken.
Hier läuft das Leben im Schritttempo eines Kamels ab, während es in Österreich dem Ruf des Geldes und der Produktivität folgt. Wenn SONNE Gäste mitbringt, die die Unterschiede bei Lebensstil und Perspektiven erfahren wollen, führt das oft zu erstaunlichen Erlebnissen. Ich erinnere mich an eine Dame, die total verblüfft war, als sie hörte, wie ich mich mit meinem Boss/Administrator per lautem Zuruf von Schreibtisch zu Schreibtisch verständigte. Für sie war das unvorstellbar. Wenn sie mit jemandem aus ihrem Büro kommunizieren müsse, dann übermittle sie die Botschaften immer elektronisch, niemals verbal…
Ich erinnere mich auch an einen Besucher, der bei einer Klo-Pause feststellte, dass seine (teure) Kamera nicht mehr im Wagen war. Der Fahrer erinnerte sich, dass der Mann sie beim vorigen Pipi-Stopp noch gehabt hatte. Die Frage, ob er den Platz noch finden würde, beantwortete unser Chauffeur mit „ja“. Wir stiegen aus dem Auto aus und rasteten unter einem Baum, während der Fahrer 80 Kilometer zurückfuhr, die Kamera verlassen auf einem Felsen fand und unbeschädigt mitbrachte, als er uns wieder aufgabelte. Eine weitere schöne Geschichte ist die, wie eine Geldbörse, gefüllt mit persönlichen Dokumenten und Euros, in der regionalen Hauptstadt auf dem Tisch einer Bar vergessen wurde – um später unversehrt wieder gefunden zu werden.
Unser Leben ist entspannt, langsamer und voll von Menschen, die wir kennen. Vielleicht das Beste an SONNE sind die Träume und die Weigerung, in Verzweiflung zu verfallen. Die Afar und ihre Region benötigen so viel!
Gegenseitige Inspiration
SONNE möchte gerne Großes bewegen, aber für eine mittelständische österreichische NGO ist natürlich nicht alles finanzierbar. Daher ist es notwendig, weiterhin zu träumen, wenn man das edle Volk der Afar nicht in seiner bitteren Armut und Unterentwicklung belassen will!
Für die Afar bedeutet das, dass SONNE sie nicht zurücklässt und als treuer Freund immer bereitsteht. Es wurden schon mehrere großartige Ideen gemeinsam erarbeitet. Was diese Ideen jedoch brauchen, ist das nötige Kapital, um sie umsetzen zu können. Heute sind die Afar mehr von Hunger gefährdet als je zuvor. Mit Sicherheit kann man sagen, dass die Regenmenge stark abgenommen hat und äußerst unzuverlässig ist.
Haushalte haben wegen der Dürre ihre Ziegen und Rinder verloren und in letzter Zeit haben Wüstenheuschrecken alle grünen Pflanzen und Büsche radikal kahlgefressen – und zwar vier Mal seit Juli 2019. Wegen der Inflation im ganzen Land sind die Preise für Waren des täglichen Gebrauchs in die Höhe geschossen und die Bauern können ihre Ziegen nicht mehr verkaufen, weil sie zu mager sind.
All das verlangt nach innovativen Ideen, um den Viehzüchtern vom Stamm der Afar wieder auf die Beine zu helfen. In dieser Situation ist APDA besonders dankbar für Partnerschaften wie die mit SONNE-International, denn wir sind wie zwei Geschwister, die gemeinsam aufgewachsen sind und sich gegenseitig inspirieren!